8.Mai 2025 – Gedenkrede zu 80 Jahre Befreiung vom Nazi-Faschismus,

Vom Politischen Wohnzimmer Ravensburg

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

dieses Jahr begehen wir ein Jubiläum, denn der Tag der Befreiung jährt sich dieses Jahr zum 80igsten Mal.

Leider ist der 8. Mai dieses Jahr mit mehreren Themenbereichen belastet:

Zum einen empfiehlt das deutsche Außenministerium, russische Vertreterinnen von den Gedenkfeiern auszuschließen und fordert sogar ggf. vom Hausrecht Gebrauch zu machen und die Polizei zu rufen, falls diese unangemeldet erscheinen würden. Als Begründung dient den politisch Verantwortlichen der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. In Wirklichkeit wird hier erneut ein Anlass geschaffen, Russland als das neue bzw. alte Feindbild auszugraben, um den nächsten Krieg propagandistisch vorzubereiten – uns kriegstüchtig zu machen.

Zum anderen unterstützt die Bundesregierung den Völkermord Israels an den Palästinenser:innen mit Waffenlieferungen und propagandistischer Rückendeckung der israelischen, mit Faschisten durchsetzten Regierung. Diese Unterstützung wird mit einer sog. Staatsraison und historischen Verpflichtung gegenüber Israel aus der jüngeren deutschen Geschichte begründet.

Doch, liebe Freundinnen und Freunde, es gibt Teile dieser Geschichte, die weiterhin unter dem Teppich entsorgt werden sollen.

Der Deutsch-Sowjetische Krieg war Teil des Zweiten Weltkrieges und begann am 22. Juni 1941 mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Er endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht in Berlin. Im Deutschen Reich wurde er als Russland- oder Ostfeldzug bezeichnet, in der früheren Sowjetunion, dem heutigen Russland und einigen anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Großer Vaterländischer Krieg. Die Ostfront war bis zur Invasion in der Normandie im Juni 1944 die längste und wichtigste Landfront im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland und seiner Verbündeten. Adolf Hitler gab seinen Entschluss zu diesem Angriffskrieg dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) am 31.Juli 1940 bekannt und befahl am 18.Dezember 1940 mit der Weisung Nr. 21, ihn bis Mai 1941 unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ militärisch vorzubereiten. Dies war ein bewusster Bruch des am 24. August 1939 geschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes. Um für die „arische Herrenrasse“ „Lebensraum im Osten“ zu erobern und den „jüdischen Bolschewismus“ zu vernichten, sollten große Teile der sowjetischen Bevölkerung vertrieben, versklavt und getötet werden. Der damalige völkerrechtswidrige Angriffskrieg des faschistischen Regimes , dessen Führer und Anhänger die Eroberung und Vernichtung des politischen Feindes im Osten, also des frühsozialistischen Vielvölkerstaates Sowjetunion, ausdrücklich proklamierten und mit ihren willigen Vollstreckern vier Jahre lang systematisch realisierten, wies eine Bilanz auf, die kein deutscher Politiker jemals vergessen sollte:

Ca 27 Millionen Menschenleben, darunter 2/3 Zivilisten, wurden getötet, 1710 Städte, 70 000 Dörfer, 32 000 Fabriken, 2766 Kirchen und Klöster, 4000 Bibliotheken und 427 Museen wurden von den deutschen Besatzern zerstört. Von den 5,7 Millionen kriegsgefangenen Sowjetsoldaten überlebten 3,3 Millionen die deutsche Gefangenschaft nicht.

Die Archivprotokolle, die vor wenigen Tagen aus russischen Beständen veröffentlicht wurden, sprechen eine klare Sprache. Sie dokumentieren die systematische Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener in den Konzentrationslagern des Dritten Reichs – ein Kapitel, das im westlichen Gedächtnis kaum noch eine Rolle spielt. Im Verhörprotokoll des Lagerkommandanten Anton Kaindl vom 20. Dezember 1945 heißt es: „Ich erkenne an, dass das Konzentrationslager Sachsenhausen unter meiner direkten Aufsicht ein Ort der massenhaften Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener war, ebenso wie politischer Gegner und Zivilisten aus den besetzten Gebieten der UdSSR.“ Diese Vernichtung geschah nicht nebenbei. Sie war Teil eines geplanten Systems, das gezielt auf die Auslöschung sowjetischer Soldaten und Zivilisten ausgerichtet war. Kaindl bestätigt, dass sowjetische Kriegsgefangene – meist Angehörige der Roten Armee – innerhalb weniger Tage nach ihrer Ankunft liquidiert wurden, oft ohne Registrierung, ohne Spuren.

Die Vielzahl der diesen Feldzug begleitenden Massenverbrechen werden gemäß der UN-Völkermordkonvention von 1948 als Genozid eingestuft. Ein Genozid an der jüdischen sowie an der slawischen Bevölkerung Osteuropas. Dieser Genozid wurde bisher von keiner deutschen Regierung als solcher anerkannt, obwohl dies eine Forderung der russischen Seite seit langem ist und als Zeichen der Versöhnung erwartet wird.

Bis heute ist dieser schmerzhafte und so verlustreiche „ große vaterländische Krieg“ in die DNA und die Seele der russischen Völker als emotional bewegender Erfolg gegen den Faschismus in Europa implementiert. Fast jede Familie hat Vorfahren, die diesem Krieg zum Opfer fielen. Das Gedenken an die Opfer ist bis heute ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Lebens in Russland.

Es ist unfassbar, dass das Tätervolk von einst sich heute anmaßt, die moralische Keule gegen diese Gedenkpolitik Russlands zu schwingen und russischen Vertretern das Gedenken auf deutschem Boden zu verbieten. Auf dem Territorium Deutschlands befinden sich mehr als viertausend Grabstätten, in denen über 700.000 Sowjetsoldaten ruhen. Diese Zahl umfasst sowohl Soldaten der roten Armee, als auch Zivilisten, die nach Deutschland als Zwangsarbeiter verschleppt wurden und dort ums Leben kamen. …… Ohne das vergossene russische Blut würde Annalena heute vielleicht Hildegard heißen und hätte die letzten Jahre wohl eher hinterm Herd statt vor einer Bundesbehörde gestanden und sich wie eine wahre deutsche Mutter um ihre Kinder gekümmert……

Sie haben uns beigebracht, den Genozid der Nazis auf den Holocaust zu fokussieren. Und es gibt zu Recht die historische Verantwortung gegen Antisemitismus aufzustehen bzw. sich ihm entschlossen entgegen zu stellen. Doch wo bleibt die historische Verantwortung gegenüber der slawischen Bevölkerung in Osteuropa, die zahlenmäßig ebenfalls einen dramatischen Blutzoll bezahlten? Es ist beschämend für die deutsche Erinnerungskultur, diesen Teil der Geschichte unter den Teppich zu kehren… Diese Ausladung Russlands von den offiziellen Gedenkveranstaltungen soll wie eine moralische Haltung wirken, entlarvt sich bei näherem Hinsehen jedoch als politischer Offenbarungseid. Geschichte wird selektiv gelesen und instrumentalisiert für die Gegenwart. Es werden Opfer von Opfern getrennt, und Täter von Tätern – nicht nach der historischen Wahrheit, sondern entlang geopolitischer Zweckmäßigkeit.

In Russland ist dieser Teil der Geschichte noch sehr präsent und es ist keine versehentliche Geschichtsvergessenheit (denn die Strategen im Auswärtigen Amt kennen auch Geschichte) sondern eine bewusste Demütigung der russischen Seele und eine klare Ansage, auch in Zukunft gegenüber Russland keine Milde walten zu lassen, sondern in die Fußstapfen der eigenen Vorfahren zu treten. Wie erklärt es sich sonst, dass die Bundesregierung engsten Schulterschluss betreibt mit bekennenden Banderisten, Anhänger Antonio Banderas, der mit seiner Miliz zusammen mit der Wehrmacht und der SS an Völkerrechtsverbrechen beteiligt war und heute Nationalheld in der Ukraine ist ?

Und jetzt? Aus der Geschichte hat Deutschland gelernt. Die Frage ist nur – was ? Dieser Staat ist Erinnerungsweltmeister – und streut sich regelmäßig Asche auf´s Haupt und bekennt sich zur Verantwortung für den Holocaust. Es wird eine Staatsraison postuliert (diesen Begriff gibt es nicht im juristischen Sinne und kommt eher aus der Zeit der Monarchie, als aus demokratischen Zeiten), den Staat Israel bedingungslos zu unterstützen und bei allen völkerrechtswidrigen Verbrechen den Rücken frei zu halten. So hat die BRD in den letzten Jahrzehnten immer dagegen gestimmt, wenn Israel von der UN wegen Völkerrechtsverstößen verurteilt wurde. Und nun wurde von deutscher Seite aus verkündet, obwohl selbst Mitglied im Internationalen Strafgerichtshof , den ausgestellten Haftbefehl für Präsident Netanjahu nicht umzusetzen…..

Wir reden über Ausschwitz, aber schweigen über Leningrad. Und genauso, wie die deutsche Politik den deutschen Völkermord an der Bevölkerung der damaligen Sowjetunion nicht sehen will, sieht sie auch heute den israelischen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza nicht. Und mit der deutschen Politik sind auch große Teile der deutschen Bevölkerung immunisiert gegen Geschichtsbewußtsein und Mitmenschlichkeit, durch eine Presse, die nur noch Gut oder Böse kennt und auf Kriegsmodus gedreht wurde und großteils Galaxien davon entfernt ist, objektiv über das Weltgeschehen zu berichten.

Hat dieses Land wirklich etwas gelernt – im Sinne einer gesundenden Aufarbeitung der verübten Verbrechen bzw. deren zustimmenden Duldung ?

Der deutsche Genozid im kolonialen Namibia hat viele Generationen gebraucht, um überhaupt erwähnt und thematisiert zu werden. Die deutschen Regierungen lehnen bis heute Entschädigungszahlung für die Nachfahren der Herero und Nama ab, bedauern zwar das Geschehen, aber übernehmen nicht die Verantwortung als Nachfolgestaat des deutschen Reiches. Der Genozid an der osteuropäischen Bevölkerung wird bis heute als „Kollateralschaden“ des Russlandfeldzuges verklärt, wie auch in den heutigen Zeiten die Massakrierung von Zivilbevölkerung immer als bedauerlicher Kollateralschaden verharmlost wird. Aber in Osteuropa wie in Palästina wurde und wird gezielt die Bevölkerung auf dem Hintergrund rassistischer und faschistischer Ideologie vernichtet und dies mit deutscher Unterstützung. So sieht der „Antifaschismus, der Antisemitismus und das „Nie Wieder“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft aus. Und alle, die diese Heuchelei aufdecken und skandalisieren, werden als Antisemiten, Putinfreunde oder Lumpenpazifisten diffamiert, kriminalisiert und in ihrer Existenz bedroht. Kulturelle und politische Auftritte dieser Andersdenkenden werden schlichtweg verboten oder durch ein martialisches Polizeiaufgebot gestört oder verhindert. Zu diesen aufbegehrenden Andersdenkenden gehören übrigens viele jüdische Mitbürger:innen, die diese rassistische und gesetzlose Politik der jetzigen israelischen Regierung nicht ertragen können.

Und Israel, dass gerade dabei ist, seinen Platz auf der Liste der Staaten einzunehmen, die einen Genozid in ihrer Geschichte verübt haben, wird womöglich an diesem Krieg zerbrechen und für den überwiegenden Teil der Welt – vielleicht nicht in der sog. westlichen Wertewelt – seine Anerkennung und Reputation verlieren und neuen Hass und Aggression hervorrufen – und das alles mit deutscher Hilfe und deutscher Staatsraison.

Es ist äusserst bitter, dass wir heute, am 80. Jahrestag der Befreiung, so weit vom Gedanken der historischer Verantwortung als Voraussetzung für Aussöhnung entfernt sind, wie noch nie seit Kriegsende. Die um sich greifende Geschichtsvergessenheit ist das Gift für ein zukünftiges friedliches Miteinander auf Augenhöhe.

Wenn Geschichte von unserer herrschenden Klasse nicht mehr dazu genutzt wird, um aus ihr zu lernen, sondern um sie für aktuelle machtpolitische Ziele zu funktionalisieren, dann muss die Zivilgesellschaft Einspruch erheben und ihre eigenen Konsequenzen aus Kolonialgeschichte und zweien von deutschen Boden ausgegangenen Weltkriegen ziehen. Wissen als Kompass in immer unruhiger werdenden Zeiten. Auch dehalb sind wir heute hier. Wie Lasalle schon Mitte des 18.Jahrhunderts anmerkte:

„Es bleibt die revolutionärste Tat immer das laut zu sagen, was ist.“