Ich rede für keine Organisation, wenngleich Mitglied bei Reporter ohne Grenzen, verdi, in Nord-Süd-Initiativen – ich werde ein paar Anmerkungen machen, die Afghanistan einordnen sollen in größere Zusammenhänge. Die Gesellschaft für Bedrohte Völker fordert, „dass der Bundestag einen Untersuchungsausschuss bildet. Die verantwortlichen Parteien CDU, CSU und SPD müssen Rede und Antwort stehen. Denn wir fragen uns alle, was schiefgelaufen ist.“ Gut. Warum erst jetzt? Ich war 1993 beruflich in Ruanda. Da liefen Bundeswehroffiziere in Uniform durch die Hauptstadt Kigali. Wenig später waren sie weg und die UN-Soldaten auch und auf den Straßen lagen etwa eine Million abgeschlachteter Tutsi und einige Hutus. Da hat niemand im Bundestag gefragt, was da schiefgelaufen war. Jüngst erst hat ein politischer Insider verraten, dass Frankreich die Tutsi-Mörder militärisch unterstützt hatte.(Francois Graner, in: Le Monde diplomatique, Mai 2021).
Konsequenzen? Die französische Rüstung boomt.
Die Taliban, hören wir, laufen durch Dörfer und Städte, töten willkürlich angebliche Kollaborateure des Regimes, und Frauen und Kinder. Das haben die Taliban nicht erfunden. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts liefen britische Soldaten durch Dörfer in Kenia, erschossen Tausende angebliche Terroristen, um den Mau-Mau-Aufstand gegen die Kolonialmacht auszurotten. Manche hängten sie zur Abschreckung nackt an die Bäume.
1824 eroberten die Briten Rangun. Um den Widerstand in der Kolonie Birma auszurotten, brannten die Briten Hunderte von Dörfern nieder, vernichteten die Kultur bis in die Grundfesten. Das ist bis heute in keinem Schulbuch zu lesen, aber bei George Orwell in seinen Burmese Days. Lehren daraus? Zwei britische Afghanistan-Kriege, mit Zigtausenden Toten auf beiden Seiten. Kein Satz in englischen Schulbüchern.
Die Taliban, lesen und hören wir, sind von unbeschreiblicher Gewalt gegen ihre Gegner. Den politischen Führer der afghanischen Minderheit der Hazara, Abdul Ali Mazari, warfen sie angeblich aus einem Helikopter. Dafür gibt es gute Vorbilder: dies taten die argentinischen Militärs, die ohne die USA keine vier Wochen sich gehalten hätten, zu Tausenden mit argentinischen Linken. Der Westen – nicht nur die USA – ließen, Sozialisten, Demokraten wie Mossadegh im Iran, Jacobo Arbenz in Guatemala, Salvador Allende in Chile wegputschen, Visionäre eines autonomen Afrika ermorden wie räudige Hunde. Lumumba wurde ersetzt durch mordende Marionetten wie Moise Tschombé und Seke Mobutu im Congo, dem Massenmörder Bédel Bokassa zahlte Präsident Giscard d’Estaing die Kaiserkrönung. Der Jagdfreund von Franz-Josef Strauß, Gnassimbé Eyadema in Togo, der mit Mord an die Macht kam, die Gefängnisse mit Oppositionellen füllte, bekam über die Seidl-Stiftung der CSU 600 Millionen Mark. 70 % der Bevölkerung leben an der Armutsgrenze, wie in fast allen Ländern Afrikas.
Nicht in einem Land des Südens ging es in den fast 60 Jahren seit der Unabhängigkeit um Menschenrechte, Demokratie, die Befreiung aus der Armut, sondern um die Plünderung der Rohstoffe und Absatzmärkte für die Rüstung in Ost wie West. Und nun soll der Krieg der USA, der Einsatz der Bundeswehr, der deutschen Geheimdienste, des CIA und wer-weiß-was-wer, für die Befreiung Afghanistans aus dem Mittelalter gewesen sein? Es geht auch in Afghanistan um nichts anderes als um die Rohstoffe, riesige Mengen an Lithium, Bauxit, Diamanten, Seltene Erden wie Neodym, Praseodym. Das ist schiefgelaufen.
Für die Produzenten von Cyber Waffen und High-Tech E-Mobilität
Oh!! Er war für die Befreiung der Frauen! Wirklich?
Die pakistanische Feministin und Journalistin Rafia Zakaria rückt in der amerikanischen Zeitung The Nation einiges zurecht: Im März 1999 lud Mavis Leno, Frau des Superstars Jay Leno, Hollywoods Schickeria zu einem Wohltätigkeitsdinner ein, um die Kampagne „End Gender Apartheid in Afghanistan“ der Feminist Majority Foundation zu sponsern. Senatorin Hillary Clinton war begeistert. First Lady Laura Bush meinte, ein Krieg in Afghanistan sei für die Befreiung der Frauen. Wow! Zu den Bomben noch ein Frauenprojekt: PROMOTE, mit 418 Millionen Dollar. Jobs und Trainings für 75.000 Frauen. Keine afghanische Frauenorganisation wurde gefragt, was sie für Ziele hätten. 2016 waren die Millionen bei einer Evaluierung unauffindbar. White Feminism, schreibt Rafia Zakaria, hatte es geschafft, die autonomen Frauenbewegungen zu vernichten. Clash of Cultures, nennt der Soziologe Samuel Huntington dies. Eine neue afghanische Frauenelite sollte eine Brücke bilden für die amerikanische upperclass culture, mit der korrupten männlichen Elite Kabuls, die an die Macht gehievt wurde und mit der man über den „richtigen“ Fortschritt hätte reden können. Die rückständigen Dörfler, die Clanführer wurden in keine Veränderung einbezogen, von den sowjetischen wie den amerikanischen Invasoren nicht. Doch die Feinde meines Feindes, die Taliban, wurden ein militärisches Produkt der USA. Davon wurde in der weißen US-Frauenbewegung nie geredet.
Ein Blick zurück. Tausende von Frauen in Vietnam gebaren Kinder ohne Augen, ohne Arme, hatten missgebildete Föten im Körper, als Folge von Agent Orange und Orange Blue des amerikanischen Chemiegiganten Dow Chemicals (ich sah dies im Kriegsmuseum in Hanoi). Wen haben die interessiert? Kein Gericht in den USA, keine Kompensationen.
Was ist mit der Befreiung der Frauen in Saudi-Arabien, das von 2010 – 2020 Waffenexporte aus Deutschland im Wert von 3.600 Millionen Euro bekam? Was kümmern die Herren der internatio-nalen Fußballclique die Rechte der Frauen in Qatar, wo Sklavenarbeiter aus Indien und Nepal die Stadien für die WM 2022 oft mit Todesfolgen erschuften?
Was kümmern die Herren, die nach wie vor Syrien und Irak bomben lassen, die Frauen, deren Männer in den Gefängnissen des Massenmörders Assad zu Tode gefoltert werden?
Wo, außer in Afghanistan, ist da sonst noch etwas falsch gelaufen? Julian Assange hatte in Wikileaks Antworten darauf.
Dafür sitzt er auf Druck der USA, auch unter Joe Biden, im Schwerverbrechergefängnis Belmarsh in London. Todesstrafe auf Raten. For freedom and democracy.
Es wird alles gut. Der Rüstungshit FCAS, Future Combat Air System, von Dassault, Airbus und Indra Sistemas, nur die Entwicklungskosten 100 Milliarden Euro, wird mit Tarnkappenjets, Drohnengeschwadern, atomar bestückbar, jedes Talibanversteck ausmerzen, egal wo. Ganz human, ohne zivile Opfer. Ich bin optimistisch – in zehn Jahren gibt es in Kabul Dior, Wal Mart, H&M, RTL und Barbara Schöneberger.